© Maike Hüls-Graening

Wer suchet, der findet... Oder auch nicht!

Auf Bernstein-Mission mit Lothar Koch.

Text von Imke Wein | Bilder Maike Hüls-Graening

Da lebt man nun mit Leidenschaft seit Jahrzehnten auf Sylt und hat noch nie einen Hauch von einem einzigen Bernstein gefunden. Mit einem Anflug von Neid habe ich immer wieder zur Kenntnis genommen, dass in Sylter Wohnzimmern von Freunden ganze Schalen voll mit Bröckchen von dem fossilen Baumharz stehen. Und die sind keinesfalls in der Welt zusammengekauft, sondern wurden an den Sylter Gestaden eigenhändig gefunden, wird mir jedenfalls immer wieder glaubhaft versichert. Klein Ben und ich möchten es nun von einem wissen, der es kann: Ist das Bernstein-Finden eine Kunst oder simples Handwerk? Der Biologe Lothar Koch hat sich unserer erbarmt und dieser Frage gestellt.

Es ist ein Bilderbuchsonntag im September. Herrliche Sonne, seit Tagen kein Wind. Spaziergangwetter am Wenningstedter Beach. Bestimmt ideal für Bernsteinsucher. Lothar kommt mit seinem Fernglas (als Biologe interessieren ihn natürlich alle möglichen Ereignisse in der Natur – unter anderem die Schweinswale) und einem großen Marmeladenglas voller herrlich matter, glänzender, beiger, aber auch gold-brauner Bernsteine.

Der Kundige zieht uns gleich vorweg den (Erwartungs-)Zahn. „Nee, heute wird das nichts mit dem Bernsteinfinden. Und schon gar nicht hier am Hauptstrand. Ideale Voraussetzungen sind dagegen: Nach einem Oststurm, wenn man an einem naturnahen Strand zum Beispiel diesen teeblattartigen Torfrückstand am Flutsaum findet. Die haben nämlich ein ähnliches spezifisches Gewicht und werden gerne zusammen mit dem Bernstein an den Strand gespült“, erklärt der Biologe. Unser Bernsteinexperte arbeitet heute vor allem als Coach und ist Autor des Naturerlebnisführers „Natürlich Sylt“ und des Romans „Syltopia“, der im Jahr 2050 spielt.

Da er von Juist stammt, konnte Lothar schon als Kind nach Bernstein suchen – er hat also den erfahrenen Blick. Seine Funde im Glas sind sozusagen ein Lebenswerk. Den dicksten Brocken, den er je gefunden hat, trägt Lothar am Hals – er liegt direkt auf seiner Thymusdrüse. „Ambitionierte Sammler sind stolz auf bis zu faustgroße Funde“, berichtet er. Neben vielen anderen Wirkungen, die dem 40-50 Millionen Jahre alten Gestein attestiert werden (siehe Übersicht), soll der Bernstein am Brustbein platziert – so wie bei Lothar – auch für positive Stimmung sorgen.

Biologe Lothar Koch und Kind bei der Bernsteinsuche auf Sylt
© Maike Hüls-Graening
Biologe Lothar Koche bei Bernsteinsuche auf Sylt
© Maike Hüls-Graening

„Als ideal erweist es sich, den Bernstein bei tief stehender Sonne oder eben sehr früh am Morgen zu suchen, dann leuchtet er regelrecht golden. Hält man den Fund dann in das Licht, kann man ihn gut von Feuersteinen unterscheiden, die viel häufiger am Strand liegen. Das ist ein Erkennungsmerkmal von Bernstein“, erzählt der Experte. Auffälliges Unterscheidungsindiz zu ordinären braunen Strandsteinen ist zudem sein Fliegengewicht – das eiskalte Winter Nordseewasser lässt den Bernstein an die Oberfläche treiben. Deswegen lohnt sich die Suche an einsamen Winterstrandtagen ganz besonders.

Lädt man den Bernstein elektrisch durch Rubbeln auf, wirkt er leicht magnetisch,stellt Haare zu Berge und zieht Flusen an. Wenn man ihn erhitzt, riecht es nach Harz. Zündet man ihn an, brennt er weg – deswegen heißt er ja auch Bern- (Brenn-) stein. Zuverlässig für unterwegs ist auch der Beißtest: Der Bernstein ist ein weiches Gestein. Vorsicht: Trotzdem nicht zu dolle beißen, sonst ist der Zahn am Ende in Gefahr. 

Lothar berichtet, dass der Bestand von Bernstein weltweit bei etwa 600.000 Tonnen liegt – es gibt in einigen Regionen regelrechte Bernstein-Minen, in denen professionell abgebaut und anschließend auch weiterverarbeitet wird – als Schmuck, als Pulver, in Ölen  und Tinkturen.

Ein großes Abbaugebiet in Deutschland liegt ausgerechnet im tiefen Binnenland bei Bitterfeld. An den Küsten von Nord- und vor allem Ostsee sind es eher Zufallsfunde, die eben darum so spannend sind, weil unvorhersehbar. Der Wert des „Ambers“ liegt pro Gramm derzeit über dem von Gold: Für ein Gramm Gold wird 35 Euro gezahlt, ein Gramm Bernstein kostet ab 60 Euro. Besonders wertvoll sind die Steine mit sogenannten Einschlüssen von Insekten oder anderen Pflanzen. „Trotzdem bleibt es vor allem ein ideeller Wert. Es ist ein großer Moment, einen Bernstein zu finden – egal, welcher Größe.

All seine positiven Wirkungen auf Körper und Seele machen den Fund zu einem Geschenk. „Und das schönste dabei ist eigentlich die Suche selbst, weil sie direkt am Meer, in einem immer wieder überraschenden, jeden Tag neuen Spülsaum stattfindet“, meint Lothar Koch. Bernsteinsucher sind zumeist Individualisten, die die Natur lieben und ihre Streifzüge und all die Entdeckungen, die sie dabei machen. Darum gibt es auch keine ausgewiesene Bernsteinsucher-Community.

In diesem Augenblick kommt eine Dame fröhlich auf uns zu. „Das gibt es ja nicht – die haben sie alle gefunden?“, meint sie bewundernd und löchert Lothar mit Fragen. Marita Schaff reist regelmäßig aus Dortmund auf die Insel, schaut nebenbei immer nach Bernstein und erweist sich als überaus interessierte Laiin. „Ich würde ja schon einiges darum geben“, gesteht sie, „aber man kann es ja nicht erzwingen.“ Da gibt Lothar Marita Schaff völlig Recht.

Sie erzählt, dass sie sich dagegen bei edlen Pilzen in der Natur als gute Spürnase erweist. Wir konstatieren Parallelen zwischen passionierten Bernstein- und Pilz-„Jägern“ und entwickeln zwei interessante Theorien. „Wahrscheinlich entsteht der größte Sucherfolg in der Natur bei den Spezies, mit denen man aufgewachsen ist“, meint Lothar und kommt dann zu einer weiteren wichtigen Erkenntnis: „Vielleicht findet der Bernstein eher den Menschen, als dass der Mensch den Bernstein findet.“ Wir unternehmen dann einfach einen absichtslosen Sonntagsspaziergang am herrlichen Weststrand und beschließen, uns in Geduld zu üben. Denn irgendwann wird er uns sicher finden, so ein netter, goldiger kleiner Bursche.

 

Bernsteinsuche auf Sylt
© Imke Wein
Biologe Lothar Koch und Kind bei Bernsteinsuche auf Sylt
© Maike Hüls-Graening

„Ambitionierte Sammler sind stolz auf bis zu faustgroße Funde“

Lothar Koch, Biologe

 

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in unserem Magazin

 

Für sofortige Vorfreude blättern Sie hier durch die letzten Ausgaben.

Oder stöbern sie hier durch eine Auswahl an Artikeln.

Sie benutzen offenbar den Internet Explorer von Microsoft als Webbrowser, um sich unsere Internetseite anzusehen.

Aus Gründen der Funktionalität und Sicherheit empfehlen wir dringend, einen aktuellen Webbrowser wie Firefox, Chrome, Safari, Opera oder Edge zu nutzen. Der Internet Explorer zeigt nicht alle Inhalte unserer Internetseite korrekt an und bietet nicht alle ihre Funktionen.