Badearzt auf Sylt - Ein Traumberuf?

Dr. Alexander Cegla im Portrait

Text Susanne Steinhardt | Bilder Maike Hüls-Graening 

Eigentlich wollte Dr. Alexander Cegla nach seiner Zeit bei der Lister Marine zurück nach Bayern. Doch statt Bergen blieb es beim Meer. Seit 40 Jahren praktiziert der gebürtige Gelsenkirchener als Badearzt in Wenningstedt. Alexander Cegla über seine ursprüngliche Aufgabe, seine Männer-Yoga-Gruppe und warum man am Strand gerne mal singen oder schreien sollte.

“Ich zeige Ihnen mal eine Übung. Stellen Sie sich mal hin und ziehen Sie die Knöchel auseinander. Merken Sie die Aufrichtung? So können Sie Ihrem Chef ganz anders gegenüber treten!“ Alexander Cegla lacht. Und Autorin Simone Steinhardt hat jetzt eine Rückenübung mehr für eine aufrechte Haltung in ihrem Repertoire. Denn überhaupt, der Rücken… Beziehungsweise Rückenleiden – das ist eines der Hauptprobleme, mit dem viele Patienten seine Praxis aufsuchen. „Psychische Belastungsstörungen, Reizüberflutung, das ist heutzutage der Fokus. Daraus resultieren dann häufig Rückenleiden, Magen- oder Atembeschwerden“, erzählt Alexander Cegla. 

Wie aus dem Faible für Berge und Psychiatrie Meer wurde

Wir sitzen bei einem Kräutertee am einladenden Esstisch in seinem roten Holzhaus. Es ist Mittwoch: praxisfreier Tag. Frei hat Alexander Cegla aber trotzdem nicht. „Ich erledige dann die Verwaltung und die Buchhaltung.“ Energiegeladen wirkt er, drahtig und sportlich. Trägt cognacfarbene Cordhosen, ein gestreiftes Hemd, darüber einen grünen Pullover. Die 68 Lebensjahre sieht man ihm nicht an. Ob es an den zahlreichen Golfrunden liegt? „Naja, ich spiele nicht besonders erfolgreich, aber mit einem gewissen sportlichen Ehrgeiz“, lacht er. Wenn er denn dazu kommt, in seinem zeitintensiven Beruf. Angefangen hat alles vor 40 Jahren. „Ich war bei der Marine in List und wollte danach eigentlich nach Bayern, in der Jugendpsychiatrie arbeiten.“ Doch es kam anders. Alexander Cegla blieb nach der Marinezeit „hängen“ auf der Insel – der Liebe wegen. Beruflich warf er damals doppelt den Anker aus: Zum einen heuerte Alexander Cegla bei dem inzwischen verstorbenen Badearzt Hans Ahlborn an – einer der Söhne des Klappholttal-Gründers Knud Ahlborn. „Doch das reichte nicht zum Leben. Die Saison war ja kurz damals, ich war also nur von Mai bis Ende September angestellt“, erinnert sich Alexander Cegla. Parallel stockte er sein Einkommen als leitender Kinderarzt in der LVA-Kinderklinik in Westerland auf.

Später dann übernahm er die Praxis seines Vorgängers Hans Ahlborn in Wenningstedt und praktizierte als Badearzt. Was genau heißt das eigentlich? „Wir haben ganz klassisch nach der Methode ,Sanitas per aquam’ gearbeitet – gesund durch Wasser. Das, was man heutzutage als ,Spa’ oder ,Thalasso’ bezeichnet.“ Die Patienten wurden in Schlick direkt aus dem Wattenmeer gewickelt, bekamen Instruktionen über die Dauer der Sonnen- und Seewasserbäder und lernten, warum es kaum etwas Besseres für die Atemwege gibt als einen Strandspaziergang am Flutsaum: des Aerosols wegen. „Noch besser, Sie schreien oder singen mal am Strand! Mal so richtig die Atemwege durchpusten“, empfiehlt Cegla. Zu seinen Aufgaben gehörte damals auch die Koordination der einzelnen Anwendungen. Rund drei Wochen kurten die Patienten früher auf Sylt. „Wir hatten 2.500 Badekuren im Jahr. Heute sind es noch 200“.

Dr. Alexander Cegla in seiner Praxis in Wenningstedt auf Sylt
© Maike Hüls-Graening

"Schreien oder singen Sie mal am Strand! Das pustet die Atemwege mal so richtig durch."

Dr. Alexander Cegla, Badearzt

 

 

Dr. Alexander Cegla in seiner Praxis in Wenningstedt auf Sylt
© Maike Hüls-Graening

„Ich bin dankbar dafür, dass ich diesen Beruf ausüben darf. Es ist schön, helfen zu können und ich bekomme von meinen Patienten so viel zurück.“

Dr. Alexander Cegla, Badearzt

Badearzt auf Sylt: Der Bezeichnung haftet etwas Entspanntes an, ein Hauch von Glamour auch, und irgendwie hat man automatisch Bilder von Meer und Strand vor dem geistigen Auge. „Das ist kein Job, bei dem man mittags drei Stunden am Strand verbringen kann“, dämpft Alexander Cegla die blumigen Erwartungen. 

Traumberuf mit Hindernissen?

Sein Spektrum hat sich massiv erweitert in den letzten Jahrzehnten. Dr. Cegla ist umfangreich ausgebildeter Allgemein- und Palliativmediziner, er beherrscht die Kunst des Zuhörens. 60-Stunden-Wochen waren für ihn lange Standard, Notdienste, Hausbesuche. Weg vom klassischen Arbeiten als Badearzt hin zu einem der Dauerthemen: Überlastung und Stress – und die daraus resultierenden Leiden. „Heute arbeite ich weniger, 40 bis 45 Stunden die Woche. Aber auch nur, weil ich zwei weitere ärztliche Kollegen und ein Superteam in der Praxis habe.“ Alexander Ceglas Arbeitstag beginnt um 8 Uhr, bis 13 Uhr ist er in der Praxis. Dann kommen die Hausbesuche, danach wieder Praxis. Und wie war das jetzt mit dem Traumberuf? „Ich möchte nirgends anders arbeiten. Hier ist sehr viel Abwechslung, immer wieder neue Menschen und neue Krankheitsgeschichten. Ich habe mich immer weiter fortgebildet. Medizin ist faszinierend. Das will ich nicht missen.“ Zumal er inzwischen seine Patienten über mehrere Generationen hinweg betreut: Die früheren Kleinkinder sind heute selbst Eltern und kommen mit ihren Kindern. Und die Großeltern begleitet Cegla bis zum Schluss: als einziger niedergelassener Palliativ-Mediziner auf Sylt. „In ihrer Angst vor dem Tod gleichen sich die Patienten – egal aus welcher sozialen Schicht“, erzählt Alexander Cegla nachdenklich. Der letzte Weg kann hart sein, weiß er. Bei einer Patientin zog er sich über vier Tage hin. Dennoch liebt Alexander Cegla seinen Beruf – trotz allem und auch nach all den Jahren noch. Doch inzwischen tut er mehr für sich. Training für den Rücken! Und für seine seelische und körperliche Balance hat er dynamisches Yoga für sich entdeckt: in einer Männergruppe. Seit einem Jahr ist der Mediziner dabei, mit wachsender Freude. „Wir sind eine ganz gemischte Truppe. Trotzdem macht jeder seins, wir messen uns nicht untereinander.“ Bliebe noch die Frage nach seinem Lebenswerk in der Praxis – wird es weitergeführt?

„Ab dem kommenden Jahr kommt eine neue Ärztin in die Praxis, die meine Nachfolgerin werden möchte. Allerdings frühestens in drei Jahren“. Einfach so plötzlich aufhören, das kann und will er gar nicht. „Man bekommt schon viel zurück von den Patienten. Das möchte ich nicht missen“, sagt Alexander Cegla. Badearzt auf Sylt ist dann eben doch sein ganz persönlicher Traumberuf.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in unserem Magazin

 

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